Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes
Das BFH-Urteil vom 23. Januar 2024 – IX R 14/23[1] bestätigt die bisherige Rechtsprechung, dass ein auf Grundlage der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV)[2] erstattetes Verkehrswertgutachten auch für den Nachweis einer kürzeren Nutzungsdauer geeignet ist.
Seit dem BFH-Urteil vom 28. 07. 2021 – IX R 25/19[3] gibt es ein Wahlrecht für die Steuerpflichtigen. Denn anstelle des typisierten AfA-Satzes nach § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG mit i.d.R. 2 % p.a. mit 50 Jahren Abschreibungszeitraum bei Wohnimmobilien oder mit 3 % p.a. mit ca. 33 Jahren bei anderen Nutzungen im Betriebsvermögen kann der Nachweis einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer anhand eines Gutachtens gem. ImmoWertV erbracht werden.
Eine vereinfachte Berechnung der tatsächlichen Nutzungsdauer gem. ImmoWertV ist für Sie auch als Komfortfunktion zum Ausdrucken im Abonnement enthalten, so dass Sie selbst vorab überprüfen können, ob sich bei Ihrer Immobilie die Beauftragung eines Gutachtens für Sie wirtschaftlich rentiert oder nicht.
Hierbei gilt der Grundsatz:
Je niedriger die tatsächliche Nutzungsdauer gem. unserem Berechnungstool im Vergleich zu den typisierten Abschreibungszeiträumen von entweder 50 oder von ca. 33 Jahren ausfällt,
desto früher übersteigen Ihre daraus resultierenden Steuervorteile die dafür aufzuwendenden Gutachterkosten und umgekehrt analog.
Das BFH-Urteil vom 23. Januar 2024 – IX R 14/23 stellt ausdrücklich klar, dass
- ein auf die Vorgaben des § 12 Abs. 5 i.V.m. Anlagen 1 und 2 ImmoWertV gestütztes Sachverständigengutachten auch geeignet ist, Aufschluss über die für die tatsächliche Nutzungsdauer maßgeblichen Determinanten zu geben, da dieses gem. § 4 Abs. 3 Satz 1 ImmoWertV auf die wirtschaftliche Bestimmung und somit nicht auf den technischen Verschleiß eines Gebäudes abstellt (siehe Rz. 25 und 26)
und dass
- die im Schreiben des BMF vom 22. 02. 2023, insbesondere die in Rz. 24 gewünschten, weitergehenden Anforderungen und Einschränkungen sich aus dem Gesetz (§ 7 Abs. 4 Satz 2 EStG i.V.m. § 11c Abs. 1 Satz 1 EStDV) nicht in Gänze entnehmen lassen und daher nicht tragfähig sind.
Der BFH hebt damit die Beweiskraft eines Verkehrswertgutachtens zum Nachweis einer kürzeren Nutzungsdauer hervor. Gem. dem BFH-Urteil vom 28. 07. 2021 – IX R 25/19 setzt dies aber voraus, dass im Gutachten jeweils explizit zu folgenden drei Punkten Stellung zu nehmen ist, die ggf. Einfluss auf die Restnutzungsdauer haben könnten:
1. technischer Verschleiß, der über die übliche Wertminderung wegen Alters hinausgeht,
2. wirtschaftliche Entwertung, wie z.B. unzeitgemäße Konzeption oder Ausstattung u.v.m.
3. rechtliche Gegebenheiten, wie z.B. Denkmalschutz, von Behördenseite erforderlicher Abriss u.v.m.
Auch wenn diese Punkte im jeweiligen Einzelfall nicht maßgeblich sind, sollten Sachverständige dennoch im Rahmen ihrer sachverständigen Begutachtung – jeweils kurz und objektbezogen – dazu einzeln und für den Leser anhand entsprechender Gliederungspunkte erkennbar Stellung nehmen.
Ein derartiger Nachweis anhand eines Gutachtens gem. ImmoWertV ist dann vom FA anzuerkennen.
Durch das BFH-Urteil vom 28. 07. 2021 – IX R 25/19 wurden die bisher von der Finanzverwaltung unterschiedlich ausgelegten Begriffe „tatsächliche Nutzungsdauer“ und „Restnutzungsdauer“ gleichgestellt. Demzufolge bezieht sich der beim Immobilienkauf maßgebliche Zeitraum für die Absetzung für Abnutzung auf den tatsächlichen Zustand des Objekts am jeweiligen Kaufzeitpunkt – einschließlich bereits durchgeführter Modernisierungsmaßnahmen sowie ggf. unter Einbeziehung anschaffungsnaher Herstellungskosten.
Diese Gleichstellung führt dazu, dass die tatsächliche Nutzungsdauer nicht mehr wie bisher zwangsläufig wie beim typisierten AfA-Satz bei jedem Eigentümerwechsel von neuem beginnt, entweder mit 50 Jahren (= 2 % Abschreibung p.a.) bei Wohnobjekten oder mit ca. 33 Jahren (= 3 % Abschreibung p.a.) bei anderen Nutzungen im Betriebsvermögen.
Dieser Nachweis anhand eines Gutachtens gem. ImmoWertV ist dann vom FA anzuerkennen. Es sei denn, dass im Gutachten wesentliche Abweichungen im Ergebnis, signifikante Ungereimtheiten bei den Objektangaben oder sonstige grobe Fehler gegeben sind, die aber „im Einzelnen“ vom jeweiligen FA nachvollziehbar und nachprüfbar zu konkretisieren sind (BFH v. 28.07.2021 – IX R 25/19 BFH/NV 2022, 108, BeckRS 2021, 36809, Rn. 20 und 26).
Durch das BMF-Schreiben vom 22. 02. 2023 (GZ: IV C 3 - S 2196/22/10006 :005; DOK: 2023/0158670) wurde von der Finanzverwaltung gem. Rz. 24 vorgegeben, dass ein vereinfachter Nachweis der tatsächlichen Nutzungsdauer anhand der Anlagen 1 und 2 ImmoWertV nicht ausreichend und dass dafür ein Gutachten erforderlich ist.
In einem derartigen Gutachten ist gem. Rz. 17 u.a. auf den technischen Verschleiß, auf die wirtschaftliche Entwertung und, soweit jeweils vorhanden, auf rechtliche Gegebenheiten, welche die Nutzungsdauer eines Gegenstands begrenzen können, sowie auf eine mögliche Nachnutzung und deren Auswirkungen auf die Nutzungsdauer einzugehen (siehe Rz. 24).
Zudem wurde gem. Rz. 22 dieses BMF-Schreibens der Kreis für eine derartige Gutachtenerstattung infrage kommender Personen auf öffentlich bestellte und vereidigte sowie auf nach DIN EN ISO/IEC 17024 zertifizierte Sachverständige für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken eingeschränkt.
Ein von den o.a. Vorgaben abweichendes, spezielles Bausubstanzgutachten mit Hilfe des sog. ERAB-Verfahrens (Verfahren zur Ermittlung des Abnutzungsvorrats von Baustoffen) ist gem. dem BFH-Urteil vom 28. 07. 2021 – IX R 25/19 nicht erforderlich, auch wenn es dennoch u.U. hilfreiche Anhaltspunkte zur Beurteilung im jeweiligen Einzelfall enthalten könnte (siehe Rz. 23).
Überschlägiger Anhalt in Anlehnung an die BMF-Arbeitshilfe:
< 10 Jahre volle Punkte
< 20 Jahre 50 % der Punkte
< 40 Jahre 25 % der Punkte
< 60 Jahre 10 % der Punkte
Eine pauschale und stets konstante Festsetzung ist in der Verkehrswertermittlung nicht möglich, wie z.B. dass immer 50 % der maximalen Punkte zu vergeben sind, wenn die Durchführung der jeweiligen Baumaßnahme zwischen 11 und einschließlich 20 Jahren zurückliegt, oder analog 25 % der maximalen Punkte bei vor 21 bis 40 Jahren durchgeführten Maßnahmen bzw. 10 % bei 41 bis 60 Jahren.
Sie können die Punktevergabe je nach jeweils vorhandenen Objekteigenschaften und lokalen Marktgegebenheiten ggf. auch interpolieren; es wird aber bei von den Vorgaben der BMF-Arbeitshilfe abweichenden Eintragungen stets empfohlen, diese entweder zuvor mit den zuständigen Finanzbehördenmitarbeitern individuell abzustimmen oder alternativ einen Sachverständigen für die dafür notwendige Begründung explizit hinzuzuziehen.
Achtung: Das Gebäudealter übersteigt die Gesamtnutzungsdauer, demzufolge wird für die Berechnung das Gebäudealter auf die Gesamtnutzungsdauer gesetzt.
Ergebnis
(tatsächliche Nutzungsdauer, gerundet auf volle Jahre)
Berechnung
Formel zur Ermittlung der Restnutzungsdauer (siehe Anlage 2 ImmoWertV 2021)
Das relative Alter wird nach der folgenden Formel ermittelt
Für die Variablen a, b und c sind die Werte der Tabelle zu verwenden.
Dabei ist zu beachten, dass Modernisierungen erst ab einem bestimmten Alter der baulichen Anlagen Auswirkungen auf die Restnutzungsdauer haben.
Aus diesem Grund ist die Formel in Abhängigkeit von der anzusetzenden Gesamtnutzungsdauer erst ab einem bestimmten Alter (relatives Alter) anwendbar.
Ansonsten gilt die Grundformel: Restnutzungsdauer = Gesamtnutzungsdauer - Gebäudealter (siehe Anlage 2 ImmoWertV 2021).
Modernisierungspunkte | a | b | c | ab einem relativen Alter von |
---|---|---|---|---|
0 | 1,2500 | 2,6250 | 1,5250 | 60 % |
1 | 1,2500 | 2,6250 | 1,5250 | 60 % |
2 | 1,0767 | 2,2757 | 1,3878 | 55 % |
3 | 0,9033 | 1,9263 | 1,2505 | 55 % |
4 | 0,7300 | 1,5770 | 1,1133 | 40 % |
5 | 0,6725 | 1,4578 | 1,0850 | 35 % |
6 | 0,6150 | 1,3385 | 1,0567 | 30 % |
7 | 0,5575 | 1,2193 | 1,0283 | 25 % |
8 | 0,5000 | 1,1000 | 1,0000 | 20 % |
9 | 0,4660 | 1,0270 | 0,9906 | 19 % |
10 | 0,4320 | 0,9540 | 0,9811 | 18 % |
11 | 0,3980 | 0,8810 | 0,9717 | 17 % |
12 | 0,3640 | 0,8080 | 0,9622 | 16 % |
13 | 0,3300 | 0,7350 | 0,9528 | 15 % |
14 | 0,3040 | 0,6760 | 0,9506 | 14 % |
15 | 0,2780 | 0,6170 | 0,9485 | 13 % |
16 | 0,2520 | 0,5580 | 0,9463 | 12 % |
17 | 0,2260 | 0,4990 | 0,9442 | 11 % |
18 | 0,2000 | 0,4400 | 0,9420 | 10 % |
19 | 0,2000 | 0,4400 | 0,9420 | 10 % |
20 | 0,2000 | 0,4400 | 0,9420 | 10 % |
1 https://www.bundesfinanzhof.de/de/entscheidung/entscheidungen-online/detail/STRE202410086/
2 Siehe § 4 und § 12 Abs. 5 i.V.m. den Anlagen 1 und 2 ImmoWertV
3 BFH-Urteil vom 28. 07. 2021 – IX R 25/19 (BFH/NV 2022, 108, BeckRS 2021, 36809)